Mitverschulden bei Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes?

Aus ungeklärten Gründen hatte die Geschädigte auf einer Autobahn die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren, kam ins Schleudern, stieß gegen die Mittelplanke und kam auf der linken Fahrspur unbeleuchtet zum Stehen. Daraufhin ereignete sich ein Zweitunfall. Auf das Fahrzeug fuhr der Schädiger auf und verletze die Geschädigte schwer.  

In verschiedenen Gerichtsinstanzen stritt man dann über die Mitverschuldensquote. Ein Oberlandesgericht senkte die Haftungsquote des Schädigers auf 40%, weil die Klägerin bei dem Zweitunfall nicht angeschnallt war.

Die Revision der Geschädigten beim BGH hatte Erfolg. Nach § 21a Abs. 1 StVO  müssen vorgeschriebene Sicherheitsgurte während der Fahrt grundsätzlich angelegt sein. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift kann hinsichtlich unfallbedingter Körperschäden zu einer Haftungskürzung wegen Mitverursachung führen. Da die Beklagten hier nur für die Folgen des Zweitunfalls haften, ist für die Frage der Mitverursachung durch die Klägerin allein von Bedeutung, ob zum Zeitpunkt des Zweitunfalls noch eine Anschnallpflicht bestand. Das war nicht der Fall, denn der Aufprall des von dem Beklagten zu 1 gelenkten Pkw ereignete sich nicht "während der Fahrt" ihres eigenen Pkw. Dessen Fahrt war vielmehr dadurch beendet worden, dass der Pkw unfallbedingt an der Leitplanke zum Stehen gekommen war. Nachdem es zu diesem Unfall gekommen war, war die Klägerin mithin nicht nur berechtigt, den Gurt zu lösen, um ihr Fahrzeug verlassen und sich in Sicherheit bringen zu können, sondern gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO sogar dazu verpflichtet, nämlich um die Unfallstelle sichern zu können. Ihr kann deshalb nicht angelastet werden, unangeschnallt gewesen zu sein, als sich der Zweitunfall ereignete.
Der u.a. für das Verkehrshaftungsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil deshalb aufgehoben und die Entscheidung zugunsten der Klägerin abgeändert.

 BGH – VI ZR 10/11

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